Tag 47 – Wir essen DOCH

Heute war eigentlich ein ganz normaler Tag außer … 😉 – ihr werdet vielleicht staunen, was alles an so einem ganz normalen Tag doch nicht so ganz normal ist.

Zunächst: es war Busstreik. Das war schon öfters in den letzten Wochen. „Liebe Busfahrer“ – so möchte man ihnen sagen „streikt doch gerne noch ein bisschen!“. Immerhin haben sie jetzt mal auf die Kinder gehört und haben am Mittwoch gestreikt. Andere Eltern mögen ihre Kinder dann mit dem Auto in die Schule kutschieren. Ich persönlich würde das eher nicht tun. Aus verschiedenen Gründen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern, in dessen Zuständigkeit die Gestaltung und der Betrieb der Schullandschaft fällt, hat beschlossen, dass es in Tressow keine Schule geben soll. Dafür sollen aber die Kinder jeden Tag in einem Bus durch die Gegend kutschiert werden. Ich will die Bobitzer Schule nicht schlecht reden. Aber bei dieser Entscheidung des Landes Mecklenburg-Vorpommern sind vor allem die Kinder die Leid tragenden. Denn selbstverständlich könnte man auch in Tressow eine Schule unterhalten. Nun ist auch das Land Mecklenburg-Vorpommern dafür zuständig, dass die Kinder überhaupt in die Schule kommen und wieder zurück. Und wenn die das nicht schaffen, dann bleiben die Kinder eben dumm – äääh pardon – zu Hause. Einen Schaden nehmen sie davon nicht. Damit der Besuch pünktlich zu seiner anderen Arbeit kommt, musste er geweckt werden. Das hätte eigentlich nicht passieren dürfen.

Dann hatte ich einen Termin in der Grundschule. Und der ist erwähnenswert, berichtenswert und vielleicht ist der Bericht darüber auch lesenswert. Wir haben in unserer Schule, trotz sehr erfahrener Pädagogin, ein bisschen Probleme mit dem Sozialverhalten einiger Schüler. Das ist insofern schmerzlich, als dass dies dann auch noch andere Schüler betrifft. Das fängt schon an der Bushaltestelle an. Zum Beispiel mit schubsen oder ärgern. Wir haben dann zuhause das Problem, dass wir uns das dumme Verhalten wieder abtrainieren müssen. Das ist manchmal obermühsam. Ich hatte dann mal im Elterngespräch das Wort Deeskalationstraining fallen lassen. Die Lehrerin und ich saßen bei einem Glas Apfelsaft zusammen und haben uns angeregt unterhalten. Ich bin wirklich dankbar, dass wir eine so verständige und interessierte und engagierte Lehrerin haben. Sie sagte mir, dass sie daran auch schon gedacht hätte. Es gibt aber ein Problem. Und jetzt Achtung … Bodo hört auch zu … Sie sagte mir, dass es ein Finanzierungsproblem gibt. Mir zog es fast den Stuhl unter dem Popo weg. Hallo??? Da sind Kinder. Die haben ein nicht selbst verschuldetes Problem mit ihrem Sozialverhalten. Sie haben ein Potential; nämlich genau dieses Sozialverhalten zu lernen, zu üben, sich anzueignen. Und es gibt für die Schule keine Möglichkeit sich da professionell helfen zu lassen? Ich habe das erstmal einfach nicht geglaubt. Es geht um unsere Kinder. Unter bestimmten Einflüssen ist kein normaler Unterricht mehr möglich. Und da sagt jetzt das Land als Träger der Schule: keine Kohle! Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Wie weit sind wir denn herunter gekommen? Für jeden Mist ist in diesem Staat Geld im Überfluss da. In einem Mautdesaster werden mal eben schnell ein paar Millionen verlocht. Die Bundeswehr leistet sich einen irrsinnigen und teuren Beraterstab. Die EU verschüttet das Geld in was für kuriose Projekte auch immer … An den Schülern wird gespart. Ich habe dann zugesichert, dass ich mich um die Finanzierung kümmern will. Heute dann war in der Schule das Gespräch mit zwei Mitarbeitern von Kinder- und Jugendhilfe Verbund MV aus Schwerin, um mit der Lehrerin über den Bedarf zu sprechen. Ich war auch eingeladen, was mich sehr gefreut hat. Sie sprachen über praktische Erfahrungen und darüber, dass sie ein individuelles Konzept erstellen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Man kann über einen längeren Zeitraum einige kurze Einheiten machen oder man kann sich auf wenige Tage mit langen Einheiten konzentrieren. Die Kundenpositionen waren recht schnell geklärt. Die Lehrerin möchte gerne einen halbwegs ungestörten Unterricht machen und auch in der Pause nicht ständig, ununterbrochen Aufpasser machen müssen. Ich habe in etwa folgendes gesagt: Sozialkompetenz ist eine der allerwichtigsten Kompetenzen im Leben. Man kann dies in einem gewissen Alter lernen. Irgendwann ist Schluss. Englisch, Deutsch und rechnen kann man sein Leben lang lernen. Sozialkompetenz ist eine Kompetenz, die man in allen, allen, allen Lebensbereichen braucht. Fangen wir mal da an, wo im Moment bei uns der Schuh am meisten drückt: in Ehe und Familie. Leider wird uns da das Programm der Schule wenig helfen. Aber es zeigt sich hier auch nochmal: es ist wichtig, dass die Menschen mit den Affenbrotbäumen umgehen können. Gute und schlechte Sprossen unterscheiden können. Und die schlechten ausreißen … Man braucht Sozialkompetenz in allen Arbeitsfeldern. In den einfacheren Jobs muss man gut mit dem Chef umgehen können. Vielleicht zahlt er ja auch einen Euro mehr, wenn er merkt: mein Mitarbeiter ist sozial kompetent. Das gilt auf allen Hierarchien. Also Kollegen im Team untereinander. Auch das Verhalten nach oben oder nach unten. Die meisten Chefs sind nicht sozialkompetent. Mit den Nachbarn, in Vereinen … es gibt keinen Lebensbereich, in dem ein sozial kompetenter Mensch nicht Vorteile hätte. Und, ganz wichtig, die Gesellschaft auch einen Vorteil davon hat, dass Menschen sozial kompetent sind. Wir haben in den Schulen keine gewachsenen, keine familialen Gemeinschaften sondern wir haben funktionale Gemeinschaften. Da fällt eine mangelnde Sozialkompetenz noch mehr auf bzw. richtet noch weiteren Schaden an, da schlechtes Verhalten durchaus ansteckend ist.
Sie wollen sich Gedanken machen und in Kürze ein Konzept schicken. Im Rausgehen sagten sie dann noch, wie wichtig genau die präventive Arbeit ist und wie massiv in den letzten Jahren die Probleme in den Familien zugenommen haben – quer durch alle sozialen Schichten.

Als ich vom Gespräch aus der Schule zurück gekommen bin, habe ich Samson davon erzählt. Er sagte: ich habe noch 30 Euro – die kann ich dazu geben. Äääääh Moment mal – habe ich etwas von mangelnder Sozialkompetenz von Kindern gesagt?

Auf dem Weg in die Musikschule frage ich, ob wir noch was einkaufen wollen und was wir denn heute abend essen wollen. Nein, meinten die Kinder. Wir müssen nichts einkaufen. Irgendwie kam es dann dahin, dass ein Kind was mit DOCH anfing, woraufhin ich sagte, dass man DOCH nicht essen kann. Jonathan: doch! Gut, sage ich, dann kannst Du uns ja heute zum Abendessen DOCH kochen. Jungs machen sich einfach manchmal einen Spaß miteinander. Hmmm – er hätte das Rezept für den DOCH Teig verloren. So sind wir also dann doch einkaufen gegangen.

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Die Wienerle – Entschuldigung … Wiener Würstchen – werden längs aufgeschnitten, damit sie sich gut biegen lassen. Dann werden sie in Blätterteig eingewickelt und in Form gebracht.

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Ihr kennt meine Einstellung zu Backtrennpapier … Ich bin aber nicht dogmatisch. Ich wollte nicht, dass das DOCH nachher irgendwo klebt wo es nicht hin gehört.

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Hier ist das DOCH fertig gebacken. Es wird landestypisch mit Senf oder Ketchup gegessen. Ich komme im Moment immer mit drei und vier durcheinander. Ich sage auch mal: stelle bitte vier Teller auf den Tisch, obwohl wir keinen Besuch haben. Auch hier wieder: kein Besuch da, aber vier Buchstaben … ein OCH hätte gereicht. Macht nichts, der vierte Buchstabe wird seinen Weg schon auch noch finden.

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Ich wollte noch ein paar Bilder und Geschichten nachliefern. Hier kommt erstmal der kuriose Wäscheständer. Über fünf Jahre haben wir unsere Wäsche auf zwei Wäscheständer meistens im Wohnzimmer getrocknet. Dem Haus mangelt ja an Wirtschaftsraum. Da wurde dann einfach zu dem klapprigen mitgebrachten Ständer noch ein dollerer aus dem Baumarkt geholt. Ich fand das etwas entwürdigend andauernd diese Wäscheständer im Wohnraum stehen zu haben. Ich habe mich an Italien erinnert. Dort wird auch die Wäsche irgendwie aufgehängt – z.B. über die Straße. Dann ging es in den Baumarkt. Materialliste: gehobelte Dachlatten, Wäscheleine, zwei Scharniere, drei Umlenkrollen, Zugleine. Dann noch ein paar Stunden basteln. Man braucht meistens länger als man denkt, irgendwann ist man dann aber doch fertig. Das Ding hat aber eine ganz besondere Eigenschaft. Die heißt ganz schlicht Aus dem Auge aus dem Sinn. Das heißt so viel, als dass die Wäsche jetzt hängen bleibt bis … nein, nicht bis der nächste Besuch kommt, sondern bis der nächste eine Ladung Wäsche aufhängen will. Also ein neues Konfliktfeld? Nein. Ich hänge dann die Wäsche einfach ab und freue mich, dass ich was sinnvolles für einen anderen Menschen tun kann. Ich bin der finsteren Ansicht, dass die meisten Menschen zu wenig füreinander tun, ein bisschen zu egoistisch unterwegs sind. So ganz alltäglicher Kleinkram zum Beispiel.

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Nachreichen wollte ich noch das Foto vom Nusskuchen. Und die zwei steht Kopf – ooooha, was ist denn da los. Da sollte eigentlich eine neun hin. Aber irgendwie hat im Moment keiner so recht Bock die Anzeige zu bedienen. Die zwei freut sich also schon mal auf nächste Woche, wenn sie wieder richtig rum gedreht wird.

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