Eine der häufigsten Fragen ist „wie seid ihr darauf gekommen?“ – und darauf will ich mal versuchen eine Antwort zu schreiben, denn ursprünglich wollten wir ja eigentlich etwas ganz anderes. Einen Gutshof oder ein Schloss – mit anderen Menschen, Familien, Kindern. – Aber jetzt der Reihe nach. Wir wohnen hier in der Stadt – gar nicht so schlecht, in einem netten Häuschen, fast ohne Garten. Recht zentral gelegen. Vor dem Haus ist eine Spielstraße, die führt in einen Park. Mit den anderen Hausbewohnern kommen wir meist gut aus und wir haben Arbeitsstellen, da sind viele Menschen schon fast neidisch. „Und so etwas gebt ihr einfach auf?“ – hören wir manche Frage. Dies hier, das müssen wir immer wieder feststellen, ist nicht wirklich unsere Welt. In den letzten fünf Jahren waren wir einmal im Kino. Das war aber was ganz besonderes. Stummfilm mit Livemusik – das bekommt man nicht alle Tage. Wir waren einmal auswärts Pizza essen. Das war ein Arbeitsessen. Shopping? Eher im Internet. Einrichtungen wie Fitnessstudios, Kletterhallen, Discos und andere Konsumtempel sehen wir nur von außen. Veranstaltungen, wie beispielsweise der weltweiten Massenhysterie im Juni/Juli diesen Jahres sind uns eher fremd, obwohl auch eingefleischte Ökos bei solchen Anlässen den Verbrauch an Trinkwasser, Lebensraum anderer Menschen, CO2 und anderer wichtiger Ressourcen gerne ignorieren. Wohl fühlen wir uns in einer ursprünglichen, naturnahen, einfachen Umgebung. So sind wir dann auf die Suche gegangen. Denn was liegt näher, als das Leben zu verändern, wenn einem die Jacke nicht wirklich passt. Wirklich weit weg wollten wir nicht unbedingt. Eine Idee war dann, dass wir ein Jahr Woofen gehen. Bei näherer Betrachtung stellte sich diese Idee dann aber als doch eher schwierig in der Durchführung dar, weshalb wir davon Abstand genommen haben. Das war so etwa Frühjahr 2013. Wir haben uns dann so mehr oder weniger damit abgefunden, dass wir „irgendwann“ schon was passendes finden werden.
Dennoch – im Sommer wollten wir mal Urlaub machen. So richtig mit wegfahren und so. Da hatten wir zwar gar nicht so viel Zeit. Vom Jahresende in der Kinderkrippe bis zum nächsten wichtigen Termin waren es knapp zwei Wochen. Auch hier wieder: Pauschalferien wollten wir nicht und Konsumferien auch nicht. Einfach nur eine Ferienwohnung mieten? Irgendwie konnten wir uns dazu nicht überwinden. Aber da war doch noch … – genau. Von den Woofüberlegungen und Recherchen hatten wir noch ein paar Adressen von interessanten Orten und Menschen. Auch mit Ferienangebot. Und wenn schon Urlaub, dann wollten wir doch auch das Meer sehen. Unsere erste Urlaubsreise führte uns zum Biohof Iria nach Mecklenburg-Vorpommern. Ein idyllisches Örtchen mit lieben Menschen, einer wunderbaren Landschaft, mit Tieren, einem großen Gemüsegarten. Wir haben die ersten Tage dort sehr genossen, auch wenn die Kinder schon auf der Hinreise gefragt haben „wann fahren wir wieder nachhause?“. Wir haben Drachen gebaut, in der Ostsee geplanscht, am Strand im Sand gespielt, das Kaninchen gefüttert und ein paar andere interessante Orte in der Umgebung besucht. Unter anderem waren wir in Medewege und auf dem Olgashof. Das waren inspirierende Besuche, aber nicht unsere Lebensorte.
Es war schon die zweite Urlaubswoche, da kam dann Gomin auf uns zu und sagte „dort unten ist ein Haus zu verkaufen – wenn ihr Geld übrig habt …“. Nun, Geld hatten wir nicht übrig, aber das Haus wollten wir sehen. Wir haben schließlich einen Besichtigungstermin bekommen – das war der 3. September. Lange waren wir nicht drin, aber es hat uns gut gefallen. Von einem großen Grundstück umgeben, direkt am Tressower See gelegen. Es hat einerseits so ganz und gar nicht unseren Vorstellungen entsprochen. Denn eine zweite Familie kann dort kaum wohnen – oder nur nach einem größeren Umbau. Das Haus hat keinen Keller – wo sollten wir unsere Marmelade und andere Vorräte lagern? Aber die Gegend, die Urlaubsstimmung, das Haus, die Menschen … – wir sind nachhause gefahren und dann war klar: wir wollen … Bis wir uns mit dem Verkäufer dann einig wurden vergingen noch bange Wochen und Monate. Es mussten doch noch einige Sachen geklärt werden, unter anderem die Finanzierung und die Abwicklung. Am 7. Februar 2014 war es dann so weit: ich konnte morgens ins Flugzeug nach Hamburg steigen, von dort weiter mit dem Zug nach Neustadt in Holstein fahren. Dort hatte ich den lange ersehnten Notartermin. Anschließend den gleichen Weg wieder zurück. Abends war ich dann wieder in Lörrach, der Vertrag war unterschrieben.
So ungefähr, grob zusammengefasst, kam alles zustande. Es gibt noch viele viele weitere Aspekte dazu, die doch auch immerhin Erwähnung finden sollen. Wir haben hier eine wunderbare Umgebung, die Kinder können im Haus spielen und toben. Und doch hat sich in den letzten Jahren gezeigt: Kleingruppe in Gruppe bewährt sich nicht nur ausschließlich gut. Das ist jetzt ein wenig schwer zu erklären. Wir machen hier weniger als die Hälfte der Bewohner aus, sorgen aber ungefähr gefühlte achzig Prozent für den Umtrieb. Das ist auf die Dauer anstrengend. Nicht nur für uns, auch für die Mitbewohner, die einfach weniger Raum für ihre persönliche Entfaltung und die Sozialarbeit in Anspruch nehmen. Mit Mühe versuchen wir seit Jahren den Plastikmüll aus dem Kühlschrank raus zu bekommen und manchmal kommen wir uns ganz schön einsam auf weiter Flur vor. Garten, putzen, einkaufen, organisieren … nein, natürlich beteiligen sich alle in der ein oder anderen Art und Weise. Aber die Bedürfnisse der Familie sind eben doch deutlich unterschiedlich von den Bedürfnissen der Einzelpersonen. Das zeigt sich im Alltag.
Die Kinder lernen in der Stadt, dass die Straße voller Müll liegt und spielen Kehrmaschine und wollen den Müll wegräumen. Uns bleibt dann nicht mehr viel übrig als ihnen beizubringen, dass sie nicht allen Müll von der Straße wegräumen können. Ist das die Prägung, die man einer Kinderseele wünscht? Etwas wehmütig machen auch solche Erlebnisse, dass es Mitbewohner gibt, die sich jahrelang in Passivität üben, auf freundliche Ansprache gereizt reagieren, sich der christlichen Nächstenliebe verschrieben haben, die die Sanitär- und Gemeinschaftsräume zwar nutzen, diese aber gerne von anderen Menschen putzen lassen – ohne jedes Dankeschön. Das sind Dinge, die uns den Abschied leichter machen. Aber es gibt auch andere.
Da sind gefühlte tausend Freunde und Bekannte, Nachbarinnen, Arbeitskollegen und überhaupt halb Lörrach. Da sind die Marktfrauen, zu denen sich in den Jahren eine persönliche Beziehung aufgebaut hat, die uns heruntergefallenes Obst schenken, da sind die früheren Mitbewohnerinnen und Mitbewohner, da ist der Zahnarzt, zu dem man seit vielen Jahren das Vertrauen aufgebaut hat, Silke, Alrun, das Museum, der Kindergarten und und und. Das wird dann „ganz schön weit weg“ sein – wie man so schön sagt. Und doch – wir haben, je näher der Umzugstermin heranrückt, doch immer mehr den Eindruck: es ist richtig. Denn, wir schaffen auch neuen Raum. Eine wunderbare Umgebung, die nur auf Besuche, Gäste und Urlauber wartet …