Tag 46 – nach der Chorprobe

Heute ist Dienstag. Dienstag ist der Tag des sozialen Kontaktes. Zum einen kommt die Bäckereifachverkäuferin mit ihrem Wägelchen. Wenn Gordon nicht kommt, ist auch für mich genügend Platz am Wägelchen um mit ihr zu schnacken. Die Frau ist erstaunlich. Sie hat eigentlich nur den Job von Standplatz zu Standplatz zu fahren und Brötchen, Bildzeitungen, Kuchen, Brote, Eier und all sowas zu verkaufen – für Mindestlohn. Aber – haltet gerne die Luft an – man kann sich auch mit ihr unterhalten. Sie kann von anspruchslos bis anspruchsvoll, von Wetter über Politik, Tagesgeschehen, Lokalereignisse sowieso, persönliche Erlebnisse – in einer angenehmen Art und Weise. Ich bin sicher, dass sie noch mehr Kunden wie mich hat, für die sie der einzige Sozialkontakt in die Außenwelt ist. Wir haben uns heute über den Zustand der CDU, das Tagesgeschehen und das Verhältnis von EU Politikern zu Bundestagsparlamentariern unterhalten. Anschließend noch mit einer Lieblingskundin telefoniert. Das Leben kann so schön sein!

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Abends ist dann Chorprobe der Kantorei. Ich hatte mich angemeldet, damit die Kinder nochmal Besuch bekommen. Ich war zwar so müde, dass es für mich wenig sinnvoll erschien hin zu gehen. Ich bin dann trotzdem hin … – Über die Probe zu schreiben ist jetzt und hier, nach einer Probe, sicher nicht der richtige Platz. Wir haben aus Verdis Requiem das Sanctus geprobt.

Viel einschneidender war das Erlebnis wieder hierher zurück zu kehren. Nach nur knapp drei Stunden hat sich auch für mich die Welt verändert. Gerade noch von Liebe gesungen, kam ich hier in eine Welt, die mir noch kranker, noch kaputter, noch falscher, noch zerstörerischer, noch irrsinniger, noch wahnsinniger vorkam als noch drei Stunden zuvor. Wäre ich hier nicht Verpflichtungen eingegangen, wäre ich wieder ins Auto eingestiegen und weit weit weg gefahren. Oder nur in ein Hotel in Wismar. Liebe Leserinnen und Leser … wenn ihr jemals in einer Trennungssituation steht – klärt eure Sachen. Reißt die Affenbrotbaumsprösslinge aus wenn sie noch klein sind. Dieser Krampf, dieser Kampf, dieser ganze Irrsinn mit den ausgewachsenen Affenbrotbäumen, den versteinerten Herzen zu leben ist vergeudete Kraft, vergeudete Lebenszeit. Er hinterlässt Furchen, Wunden und Gräben in euren Seelen und in euren Herzen und auf eurem Konto, er hinterlässt Spuren bei euren Kindern und in eurer Umgebung … Hätte ich nicht ein Versprechen abgegeben, ich würde jetzt etwas anderes machen … Es ist so ähnlich, wie wenn man jemandem aus einem KZ Urlaub gewähren würde und er würde dann freiwillig wieder dorthin zurückkehren – nur weil er seine Freunde nicht im Stich lassen kann. Es ist der blanke Horror. Ich kann nur eines hoffen: dass der Wahnsinn seinen Zenit bereits überschritten hat, dass der Irrsinn zu irgendwas nütze ist und bald eine erträgliche Form des Zusammenseins möglich wird.

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Es gilt ein Spruch von Alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör (WB)

Die Flasche ist ein Geschenk einer Lieblingskundin.

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