Warum schreibt der jetzt dieses Psychozeug – so fragt ihr euch vielleicht. Ich will es kurz erklären. Ich schrieb ja schon, dass ich die Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie mache. Ich bin da quasi hin gezwungen worden. Die psychosoziale Situation von Kindern und Jugendlichen in Familie und Schule, die aktuellen Gesellschaftstrends wie AfD, Insta und Tiktok sowie meine persönliche Situation haben mich dahin getrieben. Es ist eine logische Folge meines Lebensweges. Wohin das führt, weiß ich heute noch nicht und kann es euch daher auch nicht sagen. Eines kann ich euch aber sagen: es ist wahnsinnig spannend und wahnsinnig interessant.
Auf so einem Weg erlebt man ganz schön viel. Mit sich. Zwischen den Ohren. Dieses Erleben geht häufig und gern verloren. Das ist schade. Deswegen lasse ich euch an diesem Prozess teilhaben. Auch für mich als Tagebuch und Notizbuch. Vielleicht schaue ich da ja auch mal nach.
Im Moment nehme ich an einem Kurs für Kognitive Verhaltenstherapie von Dr. Anke Schmiedeberg teil. Da ist schon mal faszinierend und für mich vollkommen unfassbar, wie Frau Schmiedeberg eine ganze Stunde ohne Ämm und Ääääh einen Gedanken an den anderen reihen kann, gespickt mit allen möglichen Fachtherminologien, gleichzeitig die Katze streicheln kann und ihre Folien orthografisch korrigieren kann. Aber das nur am Rande.
Ich lerne über die Geschichte der Psychologie, über die Erforschung von Verhalten. Über die Pawlowschen Hunde, die Skinner Box, über klassische Konditionierung, operante Konditionierung und das Lernen am Modell. Und ich frage mich: was lerne ich daraus?
Ich merke sehr schnell, dass sowohl die klassische Konditionierung als auch die operante Konditionierung mir nicht so recht passt. Sie liegt mir nicht. Sie ist mir unsympathisch. Ich achte die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Forschung. In der Lebenspraxis ist sie mir zu eindimensional. Oder: sie sollte im Leben eines Menschen die absolute Ausnahme bleiben. Ich kann das auch ganz gut begründen. Mit diesen Methoden lassen sich nur einfach Ursache-Wirkungs-Ketten bilden. Mit einfachen Ursache-Wirkungs-Ketten prägen wir aber auch das Gehirn eindimensional. Das ist genau das, was schlechte Lehrer von den Schülern verlangen. Das ist ja genau das, was die Menschheit nicht braucht. Und noch nie gebraucht hat. Die Evolution zeigt genau in die andere Richtung. Wir brauchen vernetztes und komplexes Denken und vernetzte und komplexe Intuitionen, weil das Denken ja eh nur den kleinen Teil der Hirnaktivität ausmacht.
Sowohl John Hattie als auch die Therapieforschung zeigen, dass eine emotionale Beziehung zum Lehrer den Lernprozess verstärkt. Das spricht gegen die klassische Psychoanalyse nach Freud, die ganz dezidiert diese Beziehung auf ein Minimum reduziert. Und jetzt kommt der Knaller … es spricht wiederum für stabile und funktionale Paarbeziehungen und Monogamie. Es ist sozusagen die Erklärung dafür, weshalb die Monogamie in der Evolution sich durchgesetzt hat. Denn nur die Monogamie fördert tiefe und vertrauensvolle langfristige emotionale Beziehungen. Es ist der Knaller, den Paartherapeuten und Sexualtherapeuten vertreten: stärkt die Beziehung, dann stärkt ihr euch. Nur in funktionalen Beziehungen kann das komplexe Modelllernen im praktischen Leben seine Aufgabe erfüllen. Nur in funktionalen Beziehungen können alle Hirnareale stimuliert und gefördert werden.
Therapien – das war aber meine Idee schon vor der Ausbildung – können Krückstöcke sein. Sie können den Patienten lehren wieder zu gehen. Sie können Hilfen sein wieder psychisch mobil zu werden. Denn selbst eine Langzeittherapie über mehrere Jahre mit wöchentlich mehreren Sitzungen kann eine wirkliche Lebenssituation mit ihren ganz praktischen Aufgaben und Möglichkeiten niemals ersetzen. Nur im praktischen Leben sind wir alle Lehrer und alle Schüler. Genauer gesagt: wir sind alle Modell und Lernende. Wir sind das gleichzeitig. In jeder Situation. Wir sind die lebende NI (Natürliche Intelligenz).
Dieser Mechanismus erklärt auch, weshalb Ich-Syntone Persönlichkeitsstörungen so schwierig zu therapieren sind. Er erklärt auch, weshalb psychische Störungen mit zunehmender Entmenschlichung der Gesellschaft mehr und mehr zunehmen. Es gibt schlicht keine komplexen Modellkonstellationen in familialen Strukturen mehr. Die Singlewohnung ist angesagt, die Kultivierung aller Persönlichkeitsstörungen ist nach wie vor der heiße Chize, Ressourcenverbrauch und Konsum betäubt den Schmerz zu gut.
Diese Schlussfolgerung kommt in den Ausführungen von Frau Dr. Schmiedeberg natürlich nicht vor. Denn sie ist noch nicht wissenschaftlicher Konsens. Ich darf das hier aber schon schreiben. Ihr dürft mich auch Spinner oder Verschwörungstheoretiker nennen. Das halte ich aus. Eines ist aber klar: die Psychologie steht am Anfang ihrer Entwicklung. Die Erkenntnisse der letzten zwanzig Jahre sind schon bahnbrechend. Und da dürfen dann auch schon mal gewagte Hypothesen aufgestellt werden.
Ganz nebenbei bin ich ein selbst ein schlechtes Beispiel für meine eigenen Hypothesen. Meine Beziehungen waren bislang kurz oder dysfunktional. Damit bin ich auch für meine Kinder ein schlechtes Modell. Ich sage das mal so salopp: das war so nicht geplant. Ich bleibe aber Stehaufmännchen. „Unerwartete Wendungen“ ist das neueste Motto. Scheitern als Lernprozess. Ich will wenigstens das Beste daraus machen.