Ein Schmuckkästchen aus der Holzwerkstatt

Dies ist ein Sonderbeitrag. Er handelt von einem Schmuckkästchen. Schmuckkästchen sind beliebte Stücke, die Lehrlinge als Gesellenstücke herstellen. Lehrlinge sind in einem Alter, in dem sie vielleicht so ein Schmuckkästchen ganz gut brauchen können, nicht um es selbst zu verwenden, sondern um es zu verschenken und damit jemanden eine Freude machen. Und die Welt ein wenig besser machen.

Mein Schmuckkästchen ist zugegebenermaßen etwas größer. Und noch etwas ist anders. Ich folge dem Trend der Zeit und mache es für mich. Ich mache mir ein Schmuckkästchen und mache mir damit eine Freude. Das Schmuckkästchen ist auch nicht für Gold- und Silberschmuck oder eine Perlenkette. Es ist für einen anderen Zweck. Es ist aber auch ein besonderes Kästchen und ich muss all meine Handwerkskünste zusammen schmeißen, um es halbwegs fertig zu bekommen. Einiges geht nämlich schief. Zuerst war das Brett zu klein und die Hobelmaschine zu schwach. Dann habe ich schief gesägt, habe nicht richtig geleimt und dann habe ich mich auch noch vermessen und verfräst. Am Ende ist es dann doch noch fertig geworden. Es waren meine ersten Zinkenverbindungen. Wirklich Zeit habe ich mir nicht genommen und meine Werkstattausstattung ist zwar nicht schlecht, aber weit von dem entfernt, was einem Geselle zum Ende einer Lehrzeit zur Verfügung steht.

Das Schmuckkästchen ersetzt erstmal zwei Joghurteimerle. Waaas? Schmuck in Joghurteimerle? OK – mal Hand aufs Hirn … warum eigentlich nicht? Bevor der Schmuck in der Gegend herum fliegt, weshalb soll man ihn nicht auch mal in Joghurteimerle versorgen? Joghurteimerle haben ein paar sehr bestechende Eigenschaften. Sie sind 100% ökologisch, weil es sich um Second-Use-Gegenstände handelt. Sie sind preiswert. Sie sind hygienisch und sie sind verschließbar. Zugegeben, wenn ich einen hätte, würde ich meinen Ehering auch eher nicht in einem Joghurteimerle aufberwahren. Wenn es der Ehering der Ex wäre, vielleicht schon eher. Gut, diesen Gewissenskonflikt habe ich glücklicherweise nicht.

Als ich am 20. Mai die Küche inspiziert habe, lagen ein paar Küchenwerkzeuge wild auf der Arbeitsplatte. Die steckten vorher in so Tongefäßen drin. Die Tongefäße hatte Wipke gefertigt. Wipke, die aus ihrem Grab steigen würde und die Welt in Ordnung bringen würde, wenn sie wüsste, was hier am 19. Mai und den Wochen und Monaten und Jahren davor geschehen ist. Wipke hat den Konflikt nicht gescheut. Und Wipke hat auch die Offenheit und das Gespräch nicht gescheut. Und sie hatte ethische Grundsätze. So lange sie gelebt hat, hat sie uns wohlwollend begleitet und sogar besucht. Sie war für die Kinder so etwas wie eine Tante. Vielleicht ist es ja gut, dass sie die Entwicklung nicht miterleben musste. Wir wissen es nicht. Jedenfalls waren die Tongefäße weg und die Küchenwerkzeuge haben sehr kurzfristig eine neue Aufbewahrung benötigt. Hierfür waren Joghurteimerle ideal. Sie waren vorhanden, sie sind hygienisch und sie sind preiswert. In Töpferarbeiten bin ich jetzt nicht so der Held. So habe ich mir einfach eine Holzaufgabe daraus gemacht.

Die ersten Schritte habe ich ja schon beschrieben. Jetzt geht’s weiter.

Hier seht ihr die Verleimung der Zinkenverbindung. Wie gesagt, ich habe keine Ahnung. Der Dunning-Kruger Effekt ist hier auch am Start. Aber es muss ziemlich schnell gehen. Den Boden hatte ich auf Maß eingefräst. Überhaupt leistet die Fräse richtig gute Dienste. Es musste schnell gehen, da Zinkenverbindungen ja passgenau sein. Und wenn die Teile mal passgenau gefügt sind, zieht der Leim auch schnell an. Da lässt sich dann auch nichts mehr verwackeln oder korrigieren.

Hier habe ich die verleimten Seitenteile dann auf den Boden geleimt. Na gut … ganz 100%ig passt es nicht. Da empfehle ich euch dann einfach es so hinzunehmen wie es ist. Auch im wirklichen Leben. Nach Perfektion zu streben ist gut. Aber manchmal ist es einfach so, dass es nicht 100% passt. Daran zu verzweifeln ist nicht der richtige Weg, denn Verzweiflung führt zu nichts, außer in den Tod. Der Gebrauchswert ist zu 0% gemindert, wenn es nicht 100% passt. Und nochmal Hand auf’s Hirn: ein bisschen Individualität gehört auch dazu. Man darf das sehen, dass es kein Profi gemacht hat. Das tut dem Ding überhaupt keinen Abbruch. Wenn ich es perfekt will, dann kann ich es aus China kaufen. Die haben dort Maschinen, die machen so Zeug im Sekundenbruch. Also – weiter im Text.

Jetzt ist es also verleimt. Es ist bombenstabil. Wirklich. Dass mein Fräser etwas zu kurz war, habe ich glaube auch schon geschrieben. Deswegen gehen die Zapfen auch nicht ganz durch. Da nerve ich die Nachbarn noch ein bisschen und hoble einfach alles bündig.

Im Halbschatten des Kirschbaumes ist besonderes Licht. Dann wird geschliffen was das Zeug hält. Ich schleife mal ausnahmsweise bis zum Korn 240. Und die Kanten werden gefast. Wieder leistet die Fräse allerbeste Dienste, denn damit sind die Kanten ruckzuck gemacht.

Dann muss nur noch geölt werden. Frisch geölt sieht natürlich am besten aus. Es sieht dann fast noch besser aus als lackiert – besonders bei dem hübschen Licht.

Das fertige Kästchen. Die Abtrennbretter sind nur eingesteckt und lassen sich gegebenenfalls auch entfernen, falls man das Kästchen mal für größeren Schmuck verwenden will.

Vorher – auch praktisch. Und das ist ja das Verrückte da dran. Man braucht nicht zwangsweise irgendein fancy Zeug aus dem Factuxkatalog oder vom Ökoversand. Joghurteimerle erfüllen den gleichen Zweck wie Zeug, was man für hunderte von Euro kaufen kann. Und ja, ich habe selber gestaunt, dass es funktioniert, weil Joghurteimerle ja nur etwa 15 Gramm pro Stück wiegen. Es funktioniert aber trotzdem, weil der Schmuck, den man da rein stellt, dann das ganze System beschwert und stabilisiert. Es ist nie so ein Eimerle umgefallen. Versteht ihr was ich meine? Manchmal tut es ein ganz schlichtes und schnelles Provisorium.

Nachher. Wipke würde es gefallen.

Leute … es wartet so wahnsinnig viel Arbeit auf mich. Ich mache hier jetzt keine Liste. Nur so viel … für die Firma muss ich wieder mehr arbeiten, ich muss für die Ausbildung lernen, ich muss Klavier spielen – fürs Hirn, ich muss mich um die Ferienwohnungen und die Gäste kümmern, ich muss zum Frühschwimmen und ich muss meine Alltagsarbeit machen. Und auf der Liste stehen noch zwanzig oder dreißig Projekte. Wenn man so viel Arbeit hat, ist es ein Luxus, sich die Zeit für so ein Kästchen zu nehmen.

Noch was … Thema Affenbrotbäume. Warum mir die Werkstattarbeit so wichtig ist. Gestern hatte ich noch andere Menschen eingeladen. Zum Kaffee trinken. Wir kommen super klar. Wir können sogar Diskurse führen, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Sie sind der Ansicht, dass in der Gesellschaft doch so viel schief läuft und dass Kinder einfach mehr Druck bräuchten. So Affenbrotbäume in den Hirnen halt. Sie sind weit verbreitet. Sie sitzen fest. Sehr fest sogar. So fest, dass nicht einmal wissenschaftliche Erkenntnisse akzeptiert werden. Argument: „… da ist ja die Frage, wer solche Studien in Auftrag gibt.“ Andere Argumente dagegen wiegen schwer „… ich habe es ja auch geschafft.“ – Aber was hat das jetzt mit Werkstattarbeit zu tun? In der Werkstatt gibt es keine Beliebigkeit. Zu kurz ist zu kurz. Ohne wenn und aber, ohne Studie, ohne Glaube und ohne Meinung. Es passt. Oder es passt nicht. Man stellt Überlegungen an und kann das dann direkt prüfen, ob die Überlegung und die Ausführung stimmen oder nicht. Verfräst ist verfräst. Punkt. Nur bei grundsätzlichen Fragen in der Welt, da gehen wir anders damit um. Da geht es um Meinungen und um Glauben. Freunde, das ist tragisch. Denn genau dort kann man auch den Dingen auf den Grund gehen und sagen: das ist richtig und das ist falsch. Nach heutigen Erkenntnissen. Nicht nach Erkenntnissen von vor fünfhundert oder mehr Jahren. Es ist doch faszinierend, dass wir unser einmal gelerntes Weltbild ergänzen und verändern können. Dass die Welt eben keine flache Scheibe ist und nicht von einem Gott in sieben Tagen zusammengebraten wurde. Ouuu Mann! Und jetzt lasst ein Like da und haut ein Abo rein!

Nachtrag. Oder Wort zum Sonntag. Just heute traf ich den Nachbarn morgens am See. Er war höchst entrüstet. Denn gestern waren Menschen am See mit deftigem Benehmen und Ausdrucksweise. Psychologen und erfahrene Pädagogen haben nun bereits ein Lächeln im Gesicht. Also der Nachbar, der für „mehr Druck“ auf Schülerinnen plädiert, ist höchst entrüstet, dass jene, die diesen Druck erfahren haben dann später, wenn sie schon etwas größer sind zu primitivem Verhalten neigen. Und ja, es gibt einen direkten Zusammenhang. Der präfrontale Kortex, das ist der Bereich des Hirns, der für das erwachsene Sozialverhalten zuständig ist, der bildet sich erst mit der Pubertät und danach aus. Wenn in diesem Alter keine Vorbilder und kein Lebensraum zum praktischen Ausleben eines kultivierten Sozialverhaltens zur Verfügung steht, dann ist dieses Sozialverhalten unterentwickelt. Es ist etwa so, wie wenn man ein Kind, das laufen lernen will, ans Bett fesselt. Es wird dann nicht richtig laufen lernen. Die kausalen Zusammenhänge sind bitter einfach. Ein Mensch, der kein Sozialverhalten auf Basis von Vorbildern und praktischer Erfahrung im entsprechenden Alter erlernt hat, wird keine gesunden sozialen Verbindungen eingehen können. „Stoooopp!!!“ – ruft hier der angehende Therapeut und Schmuckkästchenbauer. Ja … und wie ist es nun wirklich. Kann er? Kann sie? Kann er nicht? Kann sie nicht? Bleiben wir mal bei dem Kind, das ans Bett gefesselt wird wenn es laufen lernen will. Ja, es wird auch noch laufen lernen. Es wird aber in der einen oder anderen Form immer gehandicapt bleiben. So ist das auch mit dem Sozialverhalten. Wenn der Mensch tatsächlich ein gesundes Sozialverhalten erlernen will, so wird er das auch können. Hierzu stehen ihm auch vielfältige Therapieangebote als Hilfe und Unterstützung zur Verfügung. Er oder sie wird aber etwas dafür tun müssen.

Deswegen nochmal: passt auf die Affenbrotbäume auf. In euren Köpfen. Und in eurem Verhalten. Jeden Tag. Die Arbeit lohnt sich.

Und noch eine Frage: kann dem Nachbarn geholfen werden? Schwierig. Denn er lebt in seiner Glaubens- und Gedankenblase, die sich selbst bestätigt. Denn er glaubt, dass das primitive Verhalten durch mehr Druck doch hätte beseitigt werden müssen. Er glaubt das wirklich. Er kann sagen: „es beeinträchtigt mich zwar, aber mir ist die Entwicklung der Gesellschaft egal.“ Er denkt vielleicht gar nicht daran, dass er eventuell in zehn oder fünfzehn oder mehr Jahren einmal eine Pflege benötigen wird. Mich macht das eher etwas traurig. Weil doch die Lösung wirklich förmlich vor der Nase, genauer gesagt schräg über der Nase liegt.

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