Archiv für den Tag: 28. Februar 2020

Tag 49

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Ich muss hier einmal eine Zwischenbemerkungen an die lieben Leserinnen und lieben Leser loslassen. Wenn du etwas in meinen Beiträgen findest, was verletzend, beleidigend, entwürdigend oder gar falsch oder unwahr ist, dann schreibe mir bitte sofort! Oder ruf‘ mich an. Oder komm‘ vorbei! Also das ist mir schon wichtig. Ich hab ja auch nur meine eigene Sichtweise und die ist … – genau … beschränkt. Es ist nicht meine Absicht jemanden zu beleidigen oder zu verletzen. Es ist meine Absicht meine momentanen Erkenntnisse und Erlebnisse aufzuschreiben und euch daran teilhaben zu lassen. Die Schreiberei hilft mir meine Erlebnisse zu verarbeiten. Ich kann hier eh nur einen kleinen Teil loslassen, weil das hier ja öffentlich ist. Also die Regierung kann das auch lesen. Bitte … melde dich wenn du was findest. Ok? Versprochen? Sonst darfst du das alles nicht lesen.

So. Jetzt aber zum Beitrag. Noch sieben Tage. Der kleine Prinz würde jetzt fragen: „Sieben Tage wovon?“.

Ich wage schon mal einen Rückblick auf die vergangenen sieben Wochen. Die Idee, die hinter der vorübergehenden Trennung steckte war, ein wenig Klarheit darüber zu bekommen, ob die Familie in der bisherigen Zusammensetzung bestehen bleibt, aber besonders auch darüber, in welcher Art diese Zusammensetzung gelebt wird. Die Realität weicht von der Idee sehr deutlich ab. Auch wenn momentan eine räumliche Trennung mit unterschiedlichen Wohnsitzen erstmal vom Tisch ist, so ist die Form des Zusammenlebens noch vollkommen ungeklärt. Das ist für den Verlangensschwächeren natürlich eine komfortable Situation. Ein Dauerzustand ist das nicht. Es ist also nach wie vor alles offen. – Das war nicht unbedingt das, was ich mit der Idee im Sinne hatte. Immerhin ist Bewegung in die starre und festgefahrene, vollkommen blockierte Situation gekommen. Auch gibt es viele positive, wunderbare, schöne Signale, Erlebnisse und Zeichen.

Ansonsten hat der Selbstversuch interessante Aspekte zutage gefördert. Der Alltag als Alleinerziehender ist locker zu bewältigen. Wenn man ein paar Abläufe optimiert, z.B. einkaufen geht wenn man eh unterwegs ist, eine gute Vorratsplanung macht, ein gutes Team ist, dann macht diese Lebensweise sogar zeitweise Spaß. Es ist niemand da auf den man Rücksicht nehmen müsste. Man kann alles so gestalten wie es einem passt. In der Dusche steht statt fünf Flaschen eine Flasche mit Duschmittel und man hat den Überblick, was im Kühlschrank vergammelt – äääh weg muss und was fehlt. Die Kinder verspüren eine noch stärkere Abhängigkeit. Man hat also weniger Mühe mit der Abstimmung, Planung, dem alltäglichen Ablauf. Wenn ihr zwischen den Zeilen lest, dann erkennt ihr auch den bitteren Zynismus, der in dieser Schilderung liegt. Mit einer entsprechend gefärbten Brille, kann man diese Lebensweise geradezu als ideal ansehen. Es ist sauber und aufgeräumt, nach außen kann man Stärke zeigen und von fast jedem Mitleid bekommen. Man hat den vollkommenen Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum. Also das Schiff quasi ganz für sich.

Wer mich kennt, der weiß: das ist nicht mein Leben! Ich bin immer noch ein Mensch, der gerne ganzheitlich denkt, fühlt und handelt – oder kurz: lebt, liebt. Insbesondere den Kindern bin ich genau dieses schuldig. Sie haben nicht so ein amputiertes Leben verdient, so ein armseliges Dasein in das wir gerade hinein gezwungen werden, dem wir uns stellen in der Hoffnung es zu überwinden. Nicht umsonst hat die Natur genau dies so vorgesehen: die Eltern als Paar, das agiert und auch interagiert. Manchmal auch wohlwollend, manchmal auch vorbildlich. Mal individuell, mal gemeinsam. Das sorgt und sich sorgt. Die Familie als offene Einheit, die mit anderen Menschen und Familien agiert, interagiert, frei, weil die Mitglieder es wollen. Nicht weil sie es müssen … Das war die Idee, als ich irgendwann im Sommer 2009 bei einer Bewohnerbewerbung in der Küche sagte „ich hätte gerne Kinder im Haus“. – Wie weit haben wir uns von dieser Idee entfernt …?

Ich habe in den letzten Wochen ein paar Sachen gelernt. Ich habe Aufgaben übernommen, die von Anne-Christin als lästig empfunden wurden. Beispielsweise die Brotdosen am Morgen für die Kinder richten. Ja, man kann das als lästig empfinden. Man kann da aber auch einen gewissen Spaß, einen gewissen Witz finden. Was packe ich in so eine Dose rein? Ist die eine Frage. Eine andere Frage ist aber: wie gestalte ich dieses ganze Leben mit der Brotdose. Ich muss eine gewisse Vorratshaltung haben an Gemüse, Snacks, Nachtisch usw. Ich muss aber auch mit den Konsumenten interagieren. Ich kann sie fragen „was schmeckt euch?“ – „worauf habt ihr Appetit?“ – ich kann die Dosen beobachten wie sie zurück kommen, was wurde gegessen und was nicht. Ich kann mir Gedanken machen, ich kann kreativ sein. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Das ist so ein Spruch. Es ist aber auch eine tiefe Wahrheit. Es kommt sehr darauf an, in welcher Atmosphäre, mit welcher Intention wir eine Speise serviert bekommen und verzehren. Ein absolutes Billigfood kann, mit guten Freunden in einer freudigen Atmosphäre, zur wahren Delikatesse, zur wertvollen Nahrung werden. Das teuerste Sterneessen aus Bio kann zu Gift werden in einer angespannten, feindseligen, missmutigen Atmosphäre. Sowas braucht natürlich Zeit, Kapazität, Lust. Wenn ich in Gedanken immer noch bei meinen mobbenden Kollegen, mit irrationalen und lebensfremden Problemen von der Erwerbsarbeit belastet bin, schlechte Gedanken über meinen Mitbewohner habe – wie soll ich da noch freudig Brotdosen gestalten und packen? Das wird nichts. Das gilt für viele Kleinigkeiten des Alltags.

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Morgens die Kinder wecken zum Beispiel. Zugegeben, das ist nicht schön. Ohne den Livestyle Lebensort Tressow am See könnten sie eine Viertelstunde länger schlafen. Mindestens. Vielleicht sogar eine halbe Stunde. Diese Entscheidung habe ich aber auch getroffen. Also muss ich sie mit tragen. Und ich muss das Beste daraus machen. Auch dies: es erfordert Energie und Kreativität. Jeden Tag neu. Den Kindern Mut machen für den neuen Tag. Ihren Missmut auffangen und gegebenenfalls reflektieren. Und lernen, lernen, lernen. Können wir die Situation drehen? Können wir etwas verbessern? – Wir können! Ich bin mir sicher! Wenn wir wollen.

Die Ferienwohnungen, die Spülmaschine, das Geschirr – mittlerweile alles meins. Erstaunlich dabei: mit jedem neuen Feld das ich übernommen habe, hat sich die Geschwindigkeit, mit der sich Anne-Christin von hier entfernt hat verdoppelt oder vervielfacht. Auch wenn meine Erwerbstätigkeit dadurch leidet … – ich liebe meine neuen Tätigkeitsfelder. Es ist wunderbar so ein tolles technisches Ding wie eine Spülmaschine zu besitzen und nutzen zu können. Es macht Freude die Anfragen von Feriengästen zu beantworten, die Buchungen vorzunehmen, die Ferienwohnung herzurichten, die Gäste zu empfangen … Es ist weniger eine Pflicht als eine Befreiung. Da musste ich die letzten Jahre immer das Gemecker anhören und mich innerlich davor wehren ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Natürlich fände ich es noch schöner, wenn wir gemeinsam auf all diesen Feldern tätig wären. Aber ich kann es nicht erzwingen. Leider.

Aber vor allem: wie gehe ich hier, beinahe von der Welt vergessen, mit meiner inneren Not, mit meinem Bedürfnis nach sozialen Kontakten, nach Nähe, nach Austausch, nach engen Freunden um. Das ist die größte Herausforderung. Ich kann verschiedene Sachen machen. Ein wichtiger Tipp – mal ganz am Rande: Alkoholverzicht. Am besten zu 100%. Selbst kleine Mengen Alkohol können das Wohlbefinden nachhaltig stören. Der Griff zu einem Gläschen Wein ist naheliegend aber töricht. Ich brauche meine ganze geistige Wachheit, um der Situation gerecht zu werden, um mein eigenes Seelengleichgewicht zu finden, um stets klar zu sein, was der Moment bedeutet. Ein Beispiel: ein Schluck Wein vor dem zu Bett gehen macht zwar, dass ich besser einschlafen kann. Ich wache aber auch schneller wieder auf. Jede Minute Schlaf ist derzeit wertvoll, kostbar und wichtig. Die seelische Gesundheit ist wichtig. Also die eigenen Gedanken und Gefühle genau zu kennen und damit umzugehen. Woher kommen die schlechten Gedanken? Was kann ich tun, damit sie mich nicht zu sehr hemmen? Und: wie gehe ich mit meiner Sehnsucht um. Dabei ist Alkohol extrem hinderlich. Gute Bücher sind wichtig. Immer den Augenblick erleben.

Wenn ich das so runter schreibe, so kann leicht ein Missverständnis entstehen, dem ich entschieden entgegentreten muss. Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass einer aus der Familie einer fremdbestimmten Erwerbstätigkeit außer Haus nachgeht! Das bekommen andere Familien auch hin. Wenn aber das Nachgehen einer fremdbestimmten Erwerbstätigkeit eine Flucht vor der Verantwortung ist, die man mit der Familiengründung übernommen hat, dann läuft etwas schief. Wenn die fremdbestimmte Erwerbstätigkeit zum 150%igen Lebensinhalt wird, wenn alle sozialen Kontakte genau darauf ausgerichtet werden, die Familie dabei ausgeschlossen wird, die Familie nur als lästig, als Balast erlebt wird, dann stimmt etwas nicht. Es ist generell nichts gegen eine fremdbestimmte Erwerbstätigkeit zu sagen. Es muss aber irgendwie auch ein Gleichgewicht wieder hergestellt werden zwischen der einen und der anderen Welt. Es gibt auch Familien, in denen beide Eltern einer fremdbestimmten Erwerbstätigkeit nachgehen. Es ist dann allerdings sehr viel Kompensation aus dem Umfeld (z.B. durch Großeltern, Freunde usw.) notwendig.

Essen geht halbwegs gut dank der Kinder. Ich mache gerne feine Sachen zum Essen. Und dann ergibt es sich schon in der Küche, dass die ein oder andere Leckerei den Weg in mich findet. Gemeinsames Essen mit den Kindern geht auch halbwegs gut. Und dann: die Reste müssen weg 🙂 – das ist auch ein Trick, der halbwegs gut funktioniert.

Um auch noch diese Erkenntnis loszuwerden. Es gibt viele Vorurteile bezüglich der Geschlechterrollen. So gelten Frauen als die sozialeren Wesen. Ich habe nun eine neue Erfahrung gemacht, die ich auch gerne teilen möchte. Viele dieser Vorurteile sind im praktischen Leben nicht haltbar. Vieles, was dem einen oder dem anderen Geschlecht als Eigenschaft zugeschrieben wird, ist eben genau nicht geschlechtsbedingt sondern rollenbedingt. Wenn also ein Mann die Rolle des Familienmanagers hat, dann entwickelt er quasi von selbst sein soziales Wesen, weil die Rolle genau dieses verlangt und begünstigt. Daher mein Tipp an Dich … sei gerne misstrauisch, wenn wieder jemand etwas von Eigenschaften eines Geschlechts von sich gibt: das meiste davon ist schlichtweg falsch.

Heute gibt es zur Feier des Tages Crepes. Wir decken mal für vier. Ich erinnere mich an einen Mitbewohner in Lörrach, der hat auch gerne für den Papst mit gedeckt. Es gibt Crepes mit Käse und Wienerlescheiben – pardon – Wiener Würstchen Scheiben, grünem Pfeffer. Es gibt Crepes mit Nutella, mit Bananenquark. Wir lassen es heute mal wieder so richtig krachen. Der Papst geht heute leer aus. Messer und Gabel brauchen wir nicht, was möglicherweise durchaus geschlechtsspezifisch ist.

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