Woche 15 – zweiter Teil – Jahrestage

Dienstag

Frühschwimmen. Das Wasser wird nun schon kälter. Der Sturm hat es durcheinandergewirbelt, die Nächte sind nun auch kälter.

Stilblüten aus dem Onlinedating? „Ich bin eine selbstbewusste Plus-Size-Frau. …. Wenn du nicht auf selbstbewusste Plus-Size-Frauen stehst, wisch nach rechts“. Man kann das als einen schlichten Irrtum ansehen und dann in die gewünschte Richtung wischen. Möglicherweise sitzt der Bug aber auch tiefer. Möglicherweise ist die Behauptung zu eigenem Selbstbewusstsein und überdurchschnittlicher Intelligenz nicht in jedem Falle miteinander vereinbar. Und ja, es schmerzt doch, etwa 80% der bereits durch Filter selektierten Profile nach links wischen zu müssen, wobei ich schon großzügig nach rechts wische. Nach links kommen übelst aufgemotzte Personen, die unter der ganzen Tünche nicht mehr erkennbar sind. Spirituelle, religiöse und klar konsumorientierte Mädels kommen nach links. Dann gibt es noch die Feinfilterung, wenn mehrere Kriterien aufeinander treffen. Kuriositäten sind Selfies vor dem Spiegel mit Händi im Gesicht.

Liebe Leserin, lieber Leser, spart euch so etwas! Es ist vertane Lebenszeit. Nutzt eure Zeit sinnvoller, zum Beispiel damit, dass ihr mit eurem derzeitigen Partner, mit eurer derzeitigen Partnerin aktiv daran arbeitet eure Traumata zu bewältigen. Denn zu nichts anderem sind wir auf der Welt. Es ist unsere einzige Aufgabe. Alles andere sind Nebenaufgaben oder dienen dazu genau die einzige Aufgabe zu bearbeiten. Nichts anderes sagt der Buchtitel der Paartherapeutin Eva-Maria Zurhorst „Liebe dich selbst und freue dich auf die nächste Krise“. Freut euch auf diesem Wege über jeden Moment, den ihr miteinander erleben dürft. Jeder Moment ist einmalig. Durch einen Partnerwechsel wird ebensowenig ein Trauma gelöst wie durch einen neuen Beruf, ein neues Auto, eine neue Wohnung oder eine neue Frisur. Was nicht heißt, dass ihr euch nicht einen neuen Beruf, ein neues Auto oder eine neue Frisur gönnen sollt.

Kurze Pause … Ein fünfsekündiger Dialog aus SWR Nachtcafe Glücklich ohne Partner? zur Erheiterung.

Noch eins …

Es ist so krass, was Eltern verpassen, wenn sie nicht täglich ihre Kinder während der Phase zum erwachsenen Menschen erleben, beispielsweise wenn sie sehr stark außer Haus im Beruf beansprucht sind, nur an Wochenenden zuhause sind oder sich schlicht nicht für ihre Kinder interessieren – auch das gibt es. Das ist mir gerade aufgefallen. Ich erzähle es euch. Zwischen den Kindern gibt es eine etwas belanglose Konversation. „Du willst mir erzählen, dass das so und so ist – es ist aber nicht …“ – „Das stimmt überhaupt nicht! Es ist nämlich so und so und ganz anders …“ – Ich bin vom Ton schon etwas genervt. Beherrsche mich dann aber zum Glück und verfolge das „ich hab Recht“-„nein ich hab Recht“-Spiel. Diskurse, liebe Freunde, sind wichtig. Diskurse zu lernen gehört zu den allerwichtigsten Skills im Leben (siehe den vergangenen Absatz). Mein erster Impuls ist: die sind auch ein bisschen Eliot (Namen geändert). Aber genau das ist es nicht. Es ist der Beginn der Ausprägung des präfrontalen Kortex, wo das Sozialverhalten im Hirn untergebracht ist. Und dieser präfrontale Kortex bzw. das Sozialverhalten muss genauso geübt werden wie sprechen oder laufen. Das ist aufwändig! Das braucht Zeit! Es braucht Versuch und Irrtum. Es braucht viel Energie. Es braucht Raum. Liebe Leserin, lieber Leser – auch darüber diskutieren wir: heißt es Verkäuferin oder Verkäufer(Pause)in. Und finden neue kreative Lösungen für das Problem.

Der Tag: Schreinerei im Garten, Werkstatt aufräumen, Fahrrad reparieren, Luftpumpe reparieren, zwei Waschmaschinen Kinder- und Ferienwohnungswäsche abhängen.

Gestern hatte ich euch von Frust aus der Werkstatt geschrieben. In der Tat: kein Erfolg ohne Misserfolg. Ich habe versucht das ca. 24 cm breite Eichenbrett zu hobeln. Das ging schief. Das hat der Hobel nicht geschafft. Er blieb selbst bei geringster Spanabnahme immer wieder stecken. Und dann stellte sich die Frage: wie macht man aus einem etwas kleinen dicken Brett ein größeres dünnes Brett? Ausrollen wie Kuchenteig geht leider nicht. Also dann doch: Streifen sägen mit der Handkreissäge. Alles sehr provisorisch. Dann verleimen.

Das Bild mit der Schüssel … nicht gerührt, sondern geschüttelt. Das ist kalter Milchschaum, geschüttelt in der Milchverpackung. Eine Kindererfindung.

Vor 11 Jahren …

Mittwoch

Das Auto hat einen Termin in der Werkstatt. Um 9 Uhr soll es dort sein. Ich hatte einen Ersatzwagen reserviert. Gestern habe ich dann das Fahrrad fit gemacht. Morgens war Traumwetter fürs Fahrrad. Wirklich! 20°C, Sonnenschein, kein Wind. Also das wäre dumm gewesen, nicht das Fahrrad zu nehmen. Und doch habe ich gezögert. Warum eigentlich?

Fahrrad fahren spült jede Menge Sauerstoff ins Hirn. Das habe ich gemerkt. Für den folgenden Text muss ich eine Triggerwarnung aussprechen. Er kann auf Leserinnen oder Leser verstörend wirken.

Wir fangen mal an mit dem Begriff der Behinderung. Was ist eine Behinderung? Zum Beispiel wenn jemand nicht mehr ganz gut sieht. Wenn ein Mensch nichts mehr sieht, dann spricht man von einer Schwerbehinderung. Ähnlich verhält es sich mit dem Hören. Es sind dies körperliche Behinderungen. Mehrfache körperliche Schwerbehinderungen nennt man Schwerstmehrfachbehinderung.

Gibt es das auch psychisch? Wir alle haben Traumata. Die einen mehr, die anderen weniger. Die einen können ihre Traumata besser kompensieren, die anderen weniger. Ich beschreibe Traumata auch als Prägung. Die Schematherapie spricht von Schemen. Ohne Prägung sind wir nichts. Es gibt Menschen, die werden extra so „aufbewahrt“, dass sie möglichst wenig äußere Fremdeindrücke bekommen. Lest beispielsweise die Biographie von Jiddu Krishnamurti. Zu behaupten, dass diese Menschen keine Prägung bekommen, wäre komplett falsch. Denn diese Menschen bekommen die Prägung von abgeschirmt sein, Isolation und Bevorzugung. Prägungen oder Traumata können unterschiedlich tief, schwer, gravierend sein. In der Psychologie spricht man ja erst von Trauma, wenn die Prägung das Leben in der Art und Weise beeinträchtigt, dass der Mensch sich krank fühlt – ein typisches Beispiel dafür sind Depressionen. Auch Suchterkrankungen gehören dazu. Bei einem sexuellen Missbrauch in der Kindheit müssen wir von einem schweren Trauma ausgehen. Auch lang anhaltende emotionale Entbehrung müssen wir als ein schweres Trauma begreifen. Wenn dann auch noch weitere Schemen, Prägungen bzw. Traumata wie das der Unzulänglichkeit hinzu kommt, müssen wir von einer Schwerstmehrfachtraumatisierung sprechen.

Das Problem bei den Schwerstmehrfachbeeinträchtigungen ist dann, dass diese sich gegenseitig nicht aufheben oder ausgleichen. Ein Blinder kann sich in seiner Umgebung orientieren – dank des Gehörs. Ein Gehörloser kann sich auch orientieren – dank des Sehsinns. Bei den seelischen Verwundungen ist das nicht anders. Mitunter ist die Beeinflussung der unterschiedlichen Traumata sehr komplex und führt zu entsprechend komplexen Persönlichkeitsstrukturen.

Bei den psychischen Prägungen kommt noch etwas ganz erschwerendes hinzu: sie prägen ihre Umwelt und ihre Mitmenschen mehr als sie selbst glauben. Die Person selbst glaubt, dass sie durch ihre Schemakompensation oder Traumaverdrängung ja ganz gut leben kann. Dass sie aber in jedem Moment ihres Seins ihre Umwelt prägt, sei es durch ihren Rückzug, den Entzug aus der Gesellschaft, sei es durch toxisches Verhalten oder passive Aggressivität, stark konsumorientiertes Verhalten, durch übermäßige Identifikation mit dem Job oder dadurch, dass sie ihren Kindern gegenüber keine Empathie zeigen kann. Ich will das nicht überdramatisieren. Die Gesellschaft ist durchaus fehlertolerant. Auch die einzelnen Menschen bringen in Form von Resilienz ein psychisches Immunsystem mit. Wenn wir aber sehen, dass gewisse gesellschaftliche Fähigkeiten verloren gehen, so müssen wir davon ausgehen, dass wir es mit einer kranken Gesellschaft oder einem kranken Menschen zu tun haben.

Sowohl körperliche Behinderungen als auch psychische Beschädigungen können von den Betroffenen kompensiert oder versteckt werden. Eine dreibeinige Katze kann durchaus noch laufen. Ein Blinder kann sich anhand von Geräuschen, Gerüchen, Luftzug, Ertasten der Umgebung überraschend gut bewegen. Bei den psychischen Traumata ist das ähnlich. Der betroffene Mensch trainiert Vermeidungsstrategien. Wenn jemand beispielsweise eine Akrophobie (Höhenangst) hat, so vermeidet er es auf hohe Punkte zu gelangen. Er kann ein scheinbar ganz normales Leben führen. Schaut einmal in einem Supermarkt, ob ihr jemanden erkennt, der schwer sexuell traumatisiert ist. Ihr werdet niemanden entdecken. Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass über 10% aller Menschen in Deutschland schwer traumatisiert ist. Ich verlinke euch hier die Traumafolgekostenstudie aus dem Jahr 2012.

Traumatisierte Menschen erlernen in ihrer Kindheit Kompensationsstrategien, also Strategien, wie sie ihre Traumatisierung verstecken. In der Schematherapie wird über Schemakompensation und Schemaüberkompensation gesprochen. Diese Kompensation macht es auch erfahrenen Therapeuten mitunter schwer, das Trauma überhaupt zu entdecken und danach auch zu bearbeiten. Die guten Nachricht: selbst bei schweren Traumata haben wir mittlerweile gut wirksame Therapiemethoden. Ich schreibe euch das, damit ihr ungefähr wisst, weshalb ich mich entschieden habe einem neuen Beruf nachzugehen. Solche Erkenntnisse, die mir die kleine Radtour ins Hirn spülen bestätigen meinen Entschluss.

Schreibt gerne in die Kommentare, was ihr davon haltet.

Ich mache die Zwingen der Verleimung auf. Und – uppps, da hab ich wohl etwas falsch gemacht. Eins der Bretter war nicht angeleimt. Da musste ich wohl nochmal nachleimen. Und nochmal: das ist genau das, was ich an der Arbeit mit ganz praktischem Material so liebe: man sieht, was man gemacht hat. Auch die Fehler. Das ist bei Esoterik nicht der Fall. Da ist einfach alles richtig. Und das ist der generelle Fehler. Humbug ist niemals richtig, auch wenn der Glaube daran noch so stark ist. Die Arbeit mit ganz konkretem Material trainiert das Hirn. Es baut Synapsen so, dass sie erkennen können: huch, da hab ich ja einen Fehler gemacht. Und sie trainiert die Resilienz in der Art und Weise, dass das Hirn mental mit Rückschlägen umgehen kann. Ich habe keine Ahnung, ob ihr versteht was ich meine. Das geht natürlich auch mit Handarbeiten, Stricken, Häkeln, auch mit Kochen, Backen und Gartenarbeiten.

Ich baue noch sowas wie einen Frästisch für die Oberfräse. Das ist einerseits weniger Arbeit als gedacht. Ich muss drei M4 Schrauben kürzen. Dabei habe ich die Wahl zwischen Edelstahlschrauben, die 10 mm zu lang sind oder normale Schrauben, die 20 mm zu lang sind. Ich nehme die normalen Schrauben.

Die Gesamtkosten für die neue Vorrichtung: 0 Euro. Der Nutzwert: enorm. Mal schauen, was man damit so alles machen kann.

Ich fahre mit dem Fahrrad los, um das Auto abzuholen. Uppps, schon in Tressow versagt die Schaltung. Das hintere Schaltwerk geht nicht mehr. Hm 🤔. Ich fahre dann mit dem Dreigang Fahrrad. Das ist nicht sehr komfortabel, aber ich komme in Wismar an. Der Autoheinz erklärt mir noch, dass dies und jenes auch nicht so ganz in Ordnung ist an dem Auto. Die Rechnung bezahle ich schnell. Autorechnungen sind immer teuer. Zuhause gucke ich mir das Malheur mit dem Schaltwerk an. Und bestelle neue Schaltungszüge. 15 Euro mit Porto – das geht noch.

Es gibt Bratwürschtle an Tomatensauce mit frischen Tomaten aus Tressow mit Spätzle. Allen schmeckt es gut.

Vor 10 Jahren … Abschiedsbilder … Es war der große Tag der Umzugshelfer. Und der große Tag des Auszugs vom Cubanito (Lärmkneipe an der Ecke).

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