Archiv für den Tag: 1. März 2021

Wahre Geschichten aus Coronien

Eine Sonde der NASA landet auf dem Mars. Es ist ein faszinierendes Schauspiel. Ich klicke mich zufällig ein paar Minuten vor der Landung in die Lifeübertragung. Da sitzen etwa vierzig Männer und ein paar Frauen und starren vollkommen absorbiert, angespannt und gebannt in Bildschirme. Machen können sie eh nix. Das Ding landet automatisch. Oder eben nicht. Der Stress der Frauen und Männer ändert an der Landung des Teiles überhaupt nichts. Und plötzlich, innerhalb einer Sekunde erheben sie sich, klatschen, jolen, freuen sich, sind vollkommen aus dem Häuschen. Nun … möge das Milliardenteure Männerspielzeug die Menschheit weiter bringen? Eine Zweitmeinung kann man hier lesen https://www.golem.de/news/perseverance-diese-marsmission-hat-keinen-applaus-verdient-2102-154325.html . Wenn ich jetzt schreibe, dass die NASA eben auch nur eine Behörde ist, bekomme ich wieder wüste Zuschriften, ob ich etwas gegen Behören hätte. Ich mahne gerne zur Besonnenheit – auch mich selber. Muss sein.

Aktuell steigt die Anspannung. Der normale Mensch auf der Straße ist von den Maßnahmen nur noch frustriert und verärgert. Wirklich verstehen tut es keiner so richtig. Gleichzeitig erzählen die Experten etwas von einer Gefährlichkeit des mutierten Partikels, dass einem Himmelangst wird. Sehr sehr wohltuend ist es da einige Minuten dem Herrn Madsen, genannt Claus aus Rostock, zuzuhören und zuzuschauen. Er war nämlich im Fernsehen und hat ein bisschen aus seinem Leben erzählt. Sein Tenor: bekämpfen wir ein Virus oder bekämpfen wir Menschen. Und: ich habe noch nie gehört, dass sich eine Schuhverkäuferin in einem Schuhladen angesteckt hat. Und: wir mussten Strandkörbe absperren. – Schaut es euch an. Es tut gut. Danke Claus! Kaum auszudenken was los wäre, wenn mehr solche besonnenen, engagierten und beherzten Menschen an entscheidenden Stellen säßen.

Herr Lauterbach sagt seinen gewollt publikumswirksamen Auftritt in einem Impfzentrum ab. Aus Sicherheitsbedenken. Hm. Man muss den Herrn Lauterbach nicht mögen. Seine Meinung auch nicht. Es ist ärgerlich genug, dass solchen Persönlichkeiten gerade jetzt so viel Aufmerksamkeit gegeben wird. Ihn zu bedrohen ist sicher der falsche Weg. Ob man auf solche Piefkes überhaupt hören muss? Der Herr könnte ja mit seiner Sendungskraft in den SPD-geführten Ländern die Gesundheitsämter auf Vordermann bringen.

Ich werde zum Herrn Plattmeier. Der Herr Plattmeier ist Fahrradmechaniker in einem Kinderbuch. Weil er nun wirklich gar keine Lust mehr hat an rostigen Fahrrädern platte Reifen zu flicken, klaut er in der ganzen Stadt die Fahrräder … – das mach ich natürlich nicht. Aber ich entwickle ein gewisses Verständnis für den Herrn Plattmeier. Frühjahrsservice an zwei Kinderfahrrädern und eine platte Schubkarre wartet auf mich. Schubkarrenräder gehören in meiner Werkstatt zu den unbeliebtesten Aufgaben. Wenn ich nordkoreanischer Diktator wäre oder indischer Guru … – vielleicht hab ich einfach die falsche Berufswahl getroffen. Wie auch immer – die Fahrräder sind wieder fit. Allerdings brauchen wir dringend neue, die die wir jetzt haben sind eindeutig zu klein. Ob uns aktuelle Fahrradyoutuber bei der Fahrradsuche behilflich sind ist noch nicht ganz geklärt. Die Schubkarre fährt auch wieder und mir wird klar, dass die Handhabung einer Schubkarre auch eine gewisse Qualifikation erfordert. Nichts in dieser hochtechnisierten Welt ist selbstverständlich. Wer mit einer halbplatten Schubkarre losfährt, macht vielleicht einem anderen Menschen unnötige Arbeit – ohne es zu ahnen, ohne Absicht, ohne Böswilligkeit, einfach nur aus reiner Nachlässigkeit.

In Nordwestmecklenburg ist die Infektionsrate pro Woche und 100.000 Einwohner schlagartig von knapp fünfzig auf 75 gestiegen. Vermutlich hat ein fleißiger Mitabeiter im Gesundheitsamt noch eine Excelliste aus dem letzten Jahr gefunden und diese nachgemeldet. Man weiß es nicht. Im Landkreis Lörrach ist die vergleichbare Rate bei 37 – vielleicht hat ein umsichtiger Mitarbeiter eine Faxliste in den Shredder wandern lassen – man weiß es nicht. Die Schule öffnet, wenn zehn Tage in Folge weniger als fünfzig Neuinfektionen gemeldet werden. Also erstmal nicht.

Ein echter Scherz am Rande. Es ist erster Schultag. Es müssen unterschriebene Coronabestätigungen mit in die Schule. Die werden auch ausgefüllt und mitgegeben. Um 7 Uhr 20 kommt dann ein Anruf aus der Schule: die Bestätigungen müssen auch auf der Rückseite unterschrieben werden. Ob ich nicht in die Schule kommen könne und die Bestätigungen unterschreiben. Ich wollte grade sagen: dann stecke ich aber die ganze Schule mit Corona an. Habe es aber runtergeschluckt und den Vorschlag gemacht, dass die Jungs die Bestätigung ja wieder mitbringen können und wir sie dann unterschreiben. Wir haben uns dann dahingehend geeinigt, dass ich eine Bestätigungs-E-Mail schicke. Das habe ich gemacht.

Was sagt uns diese Geschichte? Die ganze Republik versinkt in einer Coronabürokratie. Vollkommen sinnfrei und irr – wie jede Bürokratie. Nun kommt der Herr Brinkhaus (Vorsitzender der CDU/CSU Fraktion im Bundestag) und fordert, aus den Mängeln der Pandemiebewältigung zu lernen und eine „Jahrhundertreform – vielleicht sogar eine Revolution“ zu fordern. Und wozu wird die deutsche Gründlichkeit dann führen? Genau: zu noch mehr Bürokratie. Chapeau. Übrigens weiß auch Google bereits über diese Geschichte. Wenn man im Suchschlitz „Brinkhaus“ eingibt, erscheint als Vorschlag „Brinkhaus Revolution“ an erster Stelle. Herr Brinkhaus nannte fünf Felder: Verwaltung, Digitalisierung, Bund-Länder-Kooperation, Bildungssystem und Katastrophenschutz. Äääh – wo bleibt hier das Gesundheitssystem? Also man könnte ja genausogut texten: Umwelt, Gesundheit, Verkehr, Kriegsmaterialbeschaffung und Kultur. Es gibt ja keinen Bereich, in dem es nicht massiv klemmt. Also – immerhin hat es Herr Brinkhaus damit in die breite Presse und in diesen Blog geschafft.

Zitat der Woche aus einem längeren Artikel der SZ

Doch bei aller gebotenen Vorsicht wirft die Hamburger Studie Fragen auf, die mitten ins Selbstverständnis der Schulen reichen: Ist der Fernunterricht besser als sein Ruf? Ist die Schule womöglich weniger wichtig als gedacht? Und sie erlaubt zumindest eine gesicherte Erkenntnis: Die Debatte über die Wissenslücken der Schüler leidet selbst an einer Wissenslücke.

Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/schule-corona-lernen-lockdown-1.5219192

Frau O. vom Schulamt ruft mich an. Ob ich denn wisse wer sie sei. Naja, so habe ich gesagt, sie rufe ja vom Schulamt an und da wisse ich schon was das ist, denn ich habe ihr ja eine E-Mail geschickt. „Nein, nicht mir haben Sie die Mail geschickt, Sie haben diese an Herrn Gatz gerichtet, das ist mein Chef.“ – na gut, dass wir das geklärt haben. Vermutlich hat die Frau O die Mail gar nicht gelesen, denn da steht deutlich und als allererstes „Sehr geehrte Damen und Herren“. Die gute Frau O. war dann etwas unsicher, wie sie das vom Chef beauftragte Telefongespräch fortsetzen solle. Meine Mail, spontan in etwa einer Minute heruntergetippt, nachdem wir über die Quarantäne von der Lehrerin informiert wurden im Originaltext:

Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Frau Ministerin Bettina Martin,
Lieber Herr Gatz,

es ist schon fast unglaublich: drei Tage Schule, dann wieder in Quarantäne.

Liebe Freunde! Ich bin weder Leerdenker noch Coronaexperte. Ich bin einfach nur Vater von zwei schulpflichtigen Jungs. Aber ich wundere mich. Mit mir wundern sich viele. Ich habe noch niemanden gefunden, der sich nicht gewundert hat. Wundern tut sich der gemeine Mann  (und die gemeine Frau) über so manches, was ihm und ihr und unseren Kindern in diesen Tagen widerfährt. Zum Beispiel sowas: drei Tage Schule, dann wieder Quarantäne. Der gemeine Mann (und die gemeine Frau) fragen sich, was der Unfug eigentlich soll. Da werden doch tatsächlich ganze Klassen dicht gedrängt mit Mundschutz in geschlossene Räume gepackt. Ich habe mich da schon früher gefragt: meinen die das wirklich ernst oder machen die sich einen Jux mit uns?

Weshalb, zum Henker nochmal, so fragt man sich, werden die Klassen nicht ganz einfach geteilt. Alle, die ich gefragt habe haben entweder gesagt: das ist super! (z.B. Kollegen in Hessen) Die Kinder gehen gern in die Schule, weil der Unterricht viel entspannter ist. Das Infektionsrisiko ist nicht nur halbiert (durch die Teilung) sondern minimiert (durch zusätzlich größere Abstände, weniger Kinder im Schülertransport usw.). Und … wenn denn tatsächlich ein Coronafall auftritt, muss nicht die ganze Klasse in Quarantäne sondern eben nur die halbe. Die Pädagogen sind dafür, die Kinder sind dafür, es wäre sinnvoll, es wäre vernünftig. Nur: es wird nicht gemacht.

Sie können sich gut vorstellen, dass da der gemeine Mann und die gemeine Frau auch ein bisschen coronamüde wird.

In diesem Sinne.

Machen Sie es gut!

Beste Grüße,
Wolfgang Bund

Ich habe dann der Frau O erklärt, dass es für mich etwas schwierig ist meinen Kindern zu erklären, was denn in der Welt und in der Schule so vorgeht. Die Kinder fragen danach. Ich habe ihr erklärt, dass durch die etwas kuriosen Maßnahmenverordnungen die Glaubwürdigkeit der Schule bei den Kindern in Frage gestellt wird. Frau O hat mir dann erklärt, dass sie ja dafür nicht zuständig ist – na, wer hätte es gedacht. Ich war allerdings gar nicht in der Stimmung mich auf eine Zuständigkeitsdiskussion einzulassen. Sie hat mir weiterhin erklärt, dass sie ja nur dafür zuständig wären die Schulen zu überwachen, dass die Schulen auch das, was vom Ministerium beschlossen würde auch umsetzen. Mir lag ja auf der Zunge: lassen Sie das doch einfach sein. Ich wollte der Frau O dann aber auch nicht den Tag versauern. Ich riet ihr allerdings sich klar zu machen, dass Pandemie ist und nicht Kindergarten und dass es möglicherweise an der Tagesordnung ist, etwas vernünftiges zu machen. Ich habe sie dann noch freundlich gebeten mir schriftlich zu antworten, denn es ist in einer guten Kommunikation üblich eine Anfrage auf gleichem Wege zu beantworten. Da sagte die Frau O dann zu mir, dass sie ja dafür keinen Auftrag hätte, ihr Chef habe gesagt, dass sie mich anrufen solle. Also – ämmm – wundert sich noch jemand über den erbärmlichen Zustand unserer Schulen bei so viel Gleichgültigkeit? Dann wollte sie mich noch beruhigen. Nach nochmaligem Lesen meines Textes kann ich daraus allerdings immer noch keine Unruhe herauslesen. Dann wundert sich noch jemand über steigende Infektionszahlen bei so einem Haufen geballter Inkompetenz. Was mich etwas ärgert ist, dass das auf dem Rücken von quasi wehrlosen und unschuldigen Kindern ausgetragen wird. Und das ist schlimm.

Der Frau O kann ich bescheinigen, dass sie eine sehr gute Befehlsempfängerin ist. Solche Menschen braucht das Land, gerade in Krisen- und Pandemiezeiten.